14|01|2021

Verordnung zur Neuregelung der ärztlichen Ausbildung

Referentenentwurf einer Verordnung zur Neuregelung der ärztlichen Ausbildung
DGKJP-Stellungnahme

Sehr geehrter Herr Suhr,

herzlichen Dank für die Möglichkeit zur Stellungnahme zum Referentenentwurf für die neue Approbationsordnung für Ärzt*innen, der uns über die AWMF erreichte.

Sie finden die Kommentierung und Bewertung der DGKJP im Folgenden geordnet nach den einzelnen Paragraphen.

§ 1
Die DGKJP begrüßt, dass als Ziel der ärztlichen Ausbildung auch Grundlagenwissen über psychische Eigenschaften des Menschen vermittelt werden soll (§ 1). Wir regen diesbezüglich an, dass der Entwicklungsgedanke hier noch ergänzt wird, dass also § 1 (2) 1. folgendermaßen formuliert wird: „das Grundlagenwissen über Körperfunktionen und psychische Eigenschaften des Menschen über die gesamte Entwicklung“. Als wissenschaftliche Fachgesellschaft für psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen halten wir es für dringend geboten, dass die Ausbildung zukünftiger Ärzt*innen dezidiert auch die Spezifika der körperlichen, kognitiven und psychischen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen enthält, da in diesem Alter wesentliche Grundlagen für die Gesundheit über die gesamte Lebensspanne gelegt werden und insofern auch unter Präventionsaspekten besondere Bedeutung zukommt. Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Kinderschutz nun in der Approbationsordnung verankert ist (§ 1 (2) 6.).

§ 3
Die DGKJP begrüßt die Förderung des fächerübergreifenden Denkens sowie die stärkere Verbindung von vorklinischer und klinischer

Ausbildung und die Integration von Grundlagenwissen in den klinisch orientierten Unterricht. Explizit begrüßen wir zudem, dass die Inhalte nun durch den Nationalen Lernzielkatalog Medizin (NKLM) vorgegeben werden (§ 3 / § 5).
Wir halten es allerdings für einen fundamentalen Bruch der Inhalte des NKLM, an denen wir aktiv mitgearbeitet haben, dass unser Fach als größeres klinisches Fach weiterhin nicht in den Kanon der vor dem dritten Staatsexamen zu belegenden klinischen Fächer (Anlage 3) aufgenommen worden ist. Basierend auf den repräsentativen deutschen KIGGS-Studien sind ca. 20 % aller Kinder und Jugendlichen hinsichtlich psychischer und Entwicklungsstörungen auffällig und bedürfen einer Abklärung durch unser Fachgebiet. Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen sind die sog. „neue Morbidität“ in Deutschland (und industrialisierten Gesellschaften). Das Fach Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie ist zudem ein ärztliches Weiterbildungsfach mit eigenem Facharzt. Aktuell finden sich in dem Kanon der approbationsrelevanten klinischen Fächer sogar (Querschnitts-) Fächer, bezüglich derer bisher keine Gebietsweiterbildung laut Ärztlicher Musterweiterbildungsordnung (MWBO), sogar nicht einmal eine Zusatzweiterbildung absolviert werden kann („Gendermedizin“, „Gesundheitsökonomie“, „Palliativmedizin“, „Klinische Umweltmedizin“). Neben dem Fach Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie fehlen in der Approbationsordnung auch weitere wichtige klinische Fachgebiete wie Neurochirurgie, Nuklearmedizin, Phoniatrie/ Pädaudiologie und Transfusionsmedizin.

An dieser Stelle enthält die Approbationsordnung aus unserer Sicht einen systematischen Widerspruch. Benannt werden in Anlage 3 Fächer, die bis zum „Dritten Abschnitt der ärztlichen Prüfung“ nach dem Praktischen Jahr belegt werden sollen. In den Durchführungsbestimmungen zum Praktischen Jahr wird aber wiederum auf Fachgebiete verwiesen (§ 50: „Der ausbildende Arzt oder die ausbildende Ärztin muss Facharzt oder Fachärztin für das Gebiet sein, in dem die Lehre durchgeführt wird“).

§ 14
Ein Hinweis auf die Fachgebiete der MWBO wäre hier hilfreich, damit so klargestellt ist, dass unser Fachgebiet wie bisher in Lehrpraxen und im Praktischen Jahr gewählt werden kann.

§ 31- § 33, § 35
Es wäre wichtig, dass medizinisch-wissenschaftliche Fertigkeiten in allen Bereichen (Modulen) des Medizinstudiums vermittelt werden und nicht nur in einzelnen. Es ist ansonsten zu befürchten, dass die notwendigen wissenschaftlichen Grundlagen zur Beurteilung neuer Diagnostik- und Therapieverfahren, was alle Ärzt*innen im Laufe ihres Berufslebens beherrschen müssen, um eine evidenzbasierte Medizin auszuüben, nicht ausreichend unterrichtet werden. Auch die Ausrichtung auf Kernkompetenzen ärztlichen Handelns, wie in § 31 Abs. 4 vorgesehen, halten wir für begrüßenswert. Gerade für die Vermittlung der Kernkompetenzen wie Gesprächsführung und interprofessionelle Kompetenzen, ist das Fach der Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie besonders geeignet, da die Orientierung auf Familienmedizin und auf Interprofessionalität immanente Bestandteile des Fachgebiets der Kinder- und Jugendpsychiatrie und
-psychotherapie sind. Umso folgerichtiger wäre es, das Fachgebiet in Anlage 3 aufzuführen. Es ist nicht unter einem anderen Fachgebiet zu subsummieren, sondern ergänzt diese. Dies ermöglicht dann auch die Wahlfreiheit von Studierenden im Rahmen von Blockpraktika entsprechend § 35. Es ist nicht verständlich, warum ein Blockpraktikum in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie im Gegensatz z.B. zur Psychiatrie und Psychotherapie oder zur Psychosomatik und Psychotherapie.
Durch Weglassen der Kinder- und Jugendpsychiatrie würden überdies Minderjährige im Vergleich zu Erwachsenen mit psychischen Störungen deutlich schlechter gestellt.

§ 37
Hinsichtlich der Vertiefungsbereiche sollte ebenfalls ein Hinweis auf die Fachgebiete der MWBO aufgenommen werden. Es ist auch hier notwendig, dass das Fach Kinder- und Jugendpsychiatrie und
-psychotherapie als Teil eines Vertiefungsbereiches mit der Möglichkeit der Erstellung einer wissenschaftlichen Arbeit (§ 38) gewählt werden kann. In § 39 wird bei den „Leistungsnachweisen über Module“ auch auf den Vertiefungsbereich abgehoben, die Auflistung der klinischen Fächer für die Module sieht unser Fachgebiet (Anlage 3, s.o.) der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie jedoch nicht vor.

Es ist in diesem Zusammenhang auch darauf hinzuweisen, dass einige der neu aufgenommenen übergeordneten Kompetenzen (Anlage 4) eindeutig dem Fachgebiet Kinder- und Jugendpsychiatrie und
-psychotherapie zuzuordnen sind. Insbesondere trifft das zu für „die Grundlagen zu Fragen des Kinderschutzes und zum Umgang mit Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung“, die sogar als Ziel der ärztlichen Ausbildung in § 1 (2) Ziff. 7 formuliert wurden, ebenso für „das Grundlagenwissen über die Körperfunktionen und die psychischen Eigenschaften des Menschen“. Ebenso trifft es zweifelsfrei für die Gesprächsführung mit Kindern und Jugendlichen zu oder für die Prüfungsinhalte (s. Anlage 14) „Körperliche, geistige und psychische Entwicklung und ihre Varianten“ oder (Anlage 15) „Notfallmaßnahmen bei somatischen und psychischen Erkrankungen.“

Zusammenfassend bitten wir darum, das Fach Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie in die Anlage 3 aufzunehmen sowie hinsichtlich der Blockpraktika verbindlich zu berücksichtigen.

Angehende Ärzt*innen erfahren derzeit zu wenig über die häufigsten Vorstellungsanlässe bei Kindern und Jugendlichen überhaupt. Die Studien des Robert-Koch-Instituts zeigen, dass ein Fünftel aller Kinder emotionale Störungen oder Auffälligkeiten im Verhalten zeigen, d.h. ein großer Teil der heutigen Morbidität von Kindern und Jugendlichen sind psychische und Entwicklungsstörungen im Kindes- und Jugendalter. Jede*r zukünftige Ärzt*in muss sich zudem mit Notfallsituationen im Kinderschutz, bei selbstverletzendem Verhalten und Suizidalität im Kindes- und Jugendalter auskennen. Diese Inhalte können nur durch das Fach Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie wissenschaftlich fundiert vermittelt werden. Diese Inhalte sind, wie oben schon dargelegt, auch wesentlich für Fertigkeiten der Früherkennung und Frühintervention bei künftigen Allgemeinmediziner*innen, internistischen Hausärzt*innen und Kinderärzt*innen, denn: die Hälfte der psychischen Störungen Erwachsener beginnt in der Kindheit.

Die Möglichkeiten für Forschung und Lehre in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie sind demgegenüber an den meisten Fakultäten bereits gut etabliert, so dass eine entsprechende Änderung in der Approbationsordnung schnell umgesetzt werden kann.

Wir verweisen abschließend nochmals auf unsere Stellungnahme zum Entwurf der Approbationsordnung vom 29.11.2019 aus dem Februar 2020, dort heißt es:

„Dies kommt auch dem grundsätzlichen Ansatz der Reform und Erneuerung der ÄApprO, Kompetenzen im allgemeinen medizinischen Bereich als Grundversorgung zu stärken, entgegen. Psychische Störungen greifen erheblich in die familiären, sozialen, schulischen und beruflichen Gefüge ein und verursachen erhebliche und langfristige Kosten, u.a. für die sozialen Sicherungssysteme. Grundlagenkenntnisse hinsichtlich Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen sind von daher unabdingbar auch im Studium zu erwerben.

Die KJPP ist in der klinischen Versorgung genuin mit der Früherkennung, Diagnostik, Prävention, Therapie und Rehabilitation von psychischen und psychosomatischen Störungen im Kindes- und Jugendalter betraut. Dabei ist die KJPP wesentliches Scharnierfach in der interdisziplinären Vernetzung mit der Pädiatrie, der Psychiatrie und der Psychosomatik des Erwachsenenalters, sowie gleichermaßen außerhalb der Medizin mit der Psychologie und der Pädagogik. Gleichzeitig ist die Vermittlung der notwendigen Kenntnisse in der medizinischen Lehre im Vergleich zur gesamtgesellschaftlichen Bedeutung früh beginnender psychischer Störungen dramatisch unterrepräsentiert.“

Berlin, 14.01.2021

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