Grenzverletzungen
Stellungnahme zur aktuellen Pressedebatte über Grenzverletzungen in kinder- und jugendpsychiatrischen und –psychotherapeutischen Einrichtungen
In Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und -psychotherapie werden Patient*innen mit unterschiedlichen psychiatrischen Störungsbildern behandelt. Über die grundsätzliche Schutzwürdigkeit von Kindern und Jugendlichen hinaus bedürfen gerade junge Patient*innen mit psychischen Störungen und ihre Familien besonders sensibler Behandlung und Betreuung, die auch wesentliche Aspekte des Kinderschutzes umfasst, und die das Genfer Gelöbnis 2017, das besonders auf den Respekt vor der Autonomie und Würde der Patienten hinweist, respektiert.
Mitglieder aller Berufsgruppen der Kliniken für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie tragen deshalb eine besondere Verantwortung für ihre Patient*innen. Zu dieser Verantwortung gehört auch, im Rahmen von Schutz- und Stationskonzepten Vorkehrungen zu treffen, so dass Zwangs- und freiheitsentziehende Maßnahmen, welche bei entsprechendem Verhalten von Patient*innen durchaus notwendig werden können, auf ein Minimum reduziert werden. Dabei müssen sich die Kliniken an die gesetzlichen Vorgaben, entsprechende Leitlinien und Standards sowie ethische Anforderungen halten. Deeskalation muss immer Vorrang haben vor Freiheitsentziehung, und Beziehung immer Vorrang vor Ausgrenzung und Isolation.
Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt ist in Deutschland noch kein gelebter Alltag, wie viele Vorkommnisse zeigen. Seit einiger Zeit ist die Entwicklung von Schutzkonzepten vermehrt als Notwendigkeit erkannt worden, für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe ist sie bereits verpflichtend. Zunehmend wird deutlich, dass solche Konzepte auch im Bereich medizinischer Einrichtungen notwendig sind. Allerdings haben bisher bei weitem nicht alle Einrichtungen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, umfassende Schutzkonzepte und noch immer haben nicht alle Fachkräfte ein Basiswissen zu dieser Thematik. In Einrichtungen, auch medizinischen, finden Grenzverletzungen, sexuelle Übergriffe sowie psychische und physische Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen statt. Dabei können sowohl Minderjährige als auch Mitarbeiter*innen „Täter*innen“ sein.
In der Presse sind aktuell sehr problematische Vorgänge in Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie und – psychotherapie thematisiert worden. Der Vorstand der DGKJP nimmt dies zum Anlass, auf die Verantwortung hinzuweisen, dass sich Institutionen der Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und – psychotherapie dieser Thematik stellen und entsprechende – einrichtungsindividuelle – Schutzkonzepte entwickeln müssen. Ebenso unterstützt die DGKJP entschieden die Initiative des „Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM)“ der Bundesregierung, die Entwicklung von Schutzkonzepten auch für Kliniken verbindlich zu machen. Insofern begrüßen wir auch die Initiative der DKG, die auf dem BMBF-geförderten Verbundprojekt ECQAT „Leitungswissen Kinderschutz in Institutionen“ aufbaut, welches von Prof. J.M. Fegert (ehemaliger Präsident DGKJP) und Prof. M. Kölch (stv. Präsident DGKJP) entwickelt wurde.
Der Vorstand der DGKJP kann zum jetzigen Zeitpunkt die derzeit in der Presse vermeldeten Vorgänge nicht kommentieren, auch weil ihm die Details nicht umfassend bekannt sind. Diese Situation hat den Vorstand aber mit Sorge erfüllt, dass erneut Vorgänge nicht mit der notwendigen Transparenz angegangen werden und die Schutzinteressen der eventuell betroffenen Kinder und Jugendlichen hintenanstehen. Der Vorstand möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die wissenschaftliche Fachgesellschaft größte Anstrengungen unternimmt, Informationen zur sicheren und wissenschaftlich begründeten Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Störungen zur Verfügung zu stellen. Dazu gehört auch die Information und Aufforderung an Institutionen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, entsprechende Schutzkonzepte zu erarbeiten, damit das Risiko für Übergriffe und Grenzverletzungen minimiert wird.
Konkret möchten wir auf folgendes verweisen:
„Die Entwicklung und Umsetzung von Schutzkonzepten liegt in der Verantwortung der Leitung einer Institution. Wichtig ist, dass es ihr frühzeitig gelingt, die Mitarbeitenden zu motivieren, sich aktiv an diesem Organisationsentwicklungsprozess zu beteiligen und ihre spezifische Perspektive einzubringen. In diesem Prozess sollte sich die Institution von Beginn an von einer spezialisierten Fachberatungsstelle begleiten lassen.“ UBSKM (2015). Schutzkonzepte.
Zwischen der Deutschen Krankenhausgesellschaft DKG und dem UBSKM wurde bereits 2016 dazu eine Vereinbarung getroffen, die unter anderem eine Analyse der spezifischen Risiken vorsieht, einen Interventionsstufenplan, Standards bei der Personalauswahl sowie die Festlegung von Vorgehensweisen im Falle des Verdachts auf Übergriffigkeiten. Schutzkonzepten solle eine arbeitsrechtliche Bedeutung zugemessen werden, etwa in Form einer Dienstanweisung:
https://www.dkgev.de/fileadmin/default/Mediapool/2_Themen/2.3_Versorgung-Struktur/2.3.9_Kinderschutz/2016-02-23_Vereinbarung_DKG_UBSKM_final.pdf
Wir wissen, dass in vielen Kliniken hervorragende Arbeit geleistet wird, um für Kinder und Jugendliche eine sichere Umgebung und Behandlung zu gewährleisten, d. h. „gleichzeitig sowohl Schutzort als auch Kompetenzraum zu sein“ (UBSKM und DKG 2016). Eine fortlaufende Reflexion der Thematik durch die Mitarbeitenden ist wesentlich, um eine Kultur der Wertschätzung und des Respekts gegenüber Kindern und Jugendlichen zu pflegen.
Der Vorstand der DGKJP ist bereit, Mitglieder in allen damit zusammenhängenden Fragen zu beraten. Wir verpflichten uns gleichzeitig, über rechtliche und ethische Neuerungen in diesem sensiblen Feld umfassend und zeitnah zu informieren.
Der DGKJP-Vorstand, 30.07.2019